Eine Lanze für das Ehrenamt
Seit über 20 Jahren arbeite ich jetzt schon in der Verwaltung des TSV Waldtruderings – für euch, liebe Mitglieder. Wir werden häufig gelobt dafür, was der Verein alles so leistet, was wir möglich machen. Und wir erhalten natürlich auch – wie überall – durchaus nachvollziehbare Kritik. Und häufig habe ich in den letzten Jahren den Eindruck, dass vielen im Verein nicht klar ist welche Dimension das Ehrenamt in unserem Verein eigentlich hat. Und wie eigentlich das Verhältnis zwischen ehrenamtlicher Tätigkeit und hauptamtlicher Tätigkeit bei uns im TSV Waldtrudering aussieht.
Wir beschäftigen eine sozialversicherungspflichtig angestellte Trainerin in Teilzeit (für die Abteilungen Fitness/Prävention und Turnen) und fünf angestellte Trainer*innen, die den Freibetrag überschreiten und die Differenz der Vergütung über einen Minijob ausbezahlt bekommen (drei in den Abteilungen Fitness/Prävention und Turnen, zwei in der Fußballabteilung). Für die gesamte Verwaltung des Vereins gibt es eine Voll- und eine Teilzeitkraft (1,7 Personen), die in der Geschäftsstelle arbeiten, die Ehrenamtlichen unterstützen, zwischen allen Gremien vermitteln und den Vorständen zuarbeiten. Für die Pflege unserer Anlage stehen uns ein Hausmeister in Teilzeit und zwei Vertretungshausmeister auf Minijobbasis zur Seite. Das sind insgesamt also 10 Personen.
Ihnen gegenüber stehen 217 ehrenamtlich tätige Vereinsmitglieder, die mitunter nach einem vollen acht Stunden-Arbeitstag am Feierabend oder nach der Schule wichtige Funktionen hier bei uns im Sportverein ausüben – sei es als Trainer*in, Helfer*in, Abteilungsleiter*in, Organisierende oder im Vorstand. Gut 8 % unserer Mitglieder engagieren sich ehrenamtlich in unserem Verein. Dafür sagen wir euch ganz, ganz herzlichen Dank! Ihr seid einfach großartig!
Vielleicht fragt ihr Leser euch jetzt: Wozu – bitteschön – braucht der Verein so viele Ehrenamtliche? Nun, zum Beispiel organisieren sie den kompletten Trainingsbetrieb jeder Abteilung. Sie absolvieren im Jahr ca. 9.000 Trainingsstunden für durchschnittlich 2.700 Mitglieder, wobei hier die Meisterschaften und Spieltage gar nicht einberechnet sind. Sie halten Kontakt zu Mitgliedern und Mannschaftsspieler*innen, helfen uns bei der Planung und Durchführung von Vereinsveranstaltungen, organisieren sämtliche Abteilungsveranstaltungen und kümmern sich um Turniere, Ausflüge oder andere Events, fahren auf Ferienfreizeiten, machen Übernachtungspartys, übernehmen Fahrdienste, betreuen Sportler*innen auf Meisterschaften, kümmern sich um Trainingskleidung, fällen Entscheidungen wann was wie und wovon bezahlt werden kann, verhandeln für den Verein, sammeln Spenden, helfen uns bei juristischen Problemen, halten Kontakt zu den Sportverbänden, entwickeln Strategien für die Zukunft des Vereins, überwachen und kontrollieren alle Vorgänge im Verein. Sie stellen oft ihr persönliches Knowhow dem Verein zur Verfügung. Manche finanzieren täglich ihr Ehrenamt aus eigener Tasche und verzichten nicht selten auf eine Aufwandsentschädigung. Sie bemühen sich für euch, liebe Mitglieder, damit euer Geldbeutel nicht zu sehr strapaziert wird und wir euch und/oder euren Kindern ein gutes Sportangebot bieten können.
All diesen Menschen gilt es immer wieder zu danken – dafür dass sie Zeit und oft auch Geld opfern.
Dennoch geraten Vereine zunehmend unter Druck. Die Bereitschaft ehrenamtlich tätig zu werden nimmt ab. Vereine stehen immer stärker in Konkurrenz zu den gewerblichen Dienstleistern im Sport – seien es Fitnessstudios, diverse Kampfstudios, professionelle Fußballschulen, um nur einige zu nennen. Und auch Mitglieder werden anspruchsvoller und erwarten von Vereinen die gleiche Leistung wie bei der gewerblichen, gewinnorientierten Konkurrenz. Ehrenamtliche sind nicht immer perfekt. Sie können kurzfristig ausfallen, weil die Familie oder der Job das erfordern. Auf ihr Zeitmanagement und ihre Prioritäten haben wir keinen Einfluss. Manchmal findet sich auf die Schnelle kein Ersatz. Oder es muss eine Stunde gestrichen werden, weil sich kein Nachfolger findet. Das empfinden Mitglieder manchmal als ärgerlich.
Es wird immer häufiger in Vereinen darüber diskutiert nach funktionalen Gesichtspunkten zu planen und zu handeln – also zu ökonomischer Wirtschaftsführung überzugehen. Auch bei uns. Es wird diskutiert über Beiträge gemäß Leistung, Raumverteilung gemäß Personenzahl, Übungsangebot gemäß Kostendeckung und Teilnehmerzahl, über modernes Vereinsmanagement und Rationalisierung. All diese Überlegungen sind gewiss nicht falsch, aber in einem „wirtschaftlichen Zweckbetrieb“ ist mit Recht niemand bereit, Verpflichtungen zu übernehmen und Zeit und Kraft zu opfern, ohne dafür materiell entschädigt zu werden.
Ich bin davon überzeugt: wo dem Modernisierungsdruck standgehalten wird, kann der Sportverein ein Ort der Selbstbestimmung sein, ein Reservat für all jene Traditionen und Werte sein, die in allen anderen Bereichen unserer Gesellschaft auf Grund des Rationalisierungsdrucks verloren gehen: Nachbarschaftshilfe, Freiwilligkeit, Solidarität, gegenseitiger Respekt, Rücksichtnahme, Moral, Mut, Stärke, Zugehörigkeit, Kameradschaft und Geselligkeit. Und all das bewirken unsere Ehrenamtlichen. Sie sind praktisch das Bindeglied zur reinen nüchternen Verwaltung und den starren Formalien des Vereins wie Satzung, Hauptversammlung, ökonomischer Herausforderung. Ohne Ehrenamtliche kann es keinen Verein im traditionellen Sinne geben. Ohne Ehrenamtliche kann es bei uns keinen Sport zu erschwinglichem Preis geben – schon gar nicht im Kinder- und Jugendbereich, wo der Einsatz von Trainer*innen und deren Unterstützende mindestens doppelt so hoch ist. Die Ehrenamtlichen unseres Vereins sind das Fundament unseres Vereins – unser kostbarstes Gut – unser aller Zusammenhalt.
Was kann ein Verein wie wir Ehrenamtlichen bieten? Zunächst ist es die Möglichkeit zur persönlichen Selbstverwirklichung und Anerkennung. Das Amt trägt bei zur Entwicklung von Selbstvertrauen. Man kann etwas für seine eigenen Kinder bewegen. Man kann sein Wissen und die eigene Begeisterung für den Sport weitergeben, sich ausprobieren und Erfahrungen sammeln. Aber auch ohne spezielles sportliches Können gibt es viele Möglichkeiten uns zu unterstützen. Jeder kann dazu beitragen, dass in unserer Gesellschaft Werte und Zusammenhalt nicht verloren gehen. Gerade für unsere Heranwachsenden hat soziales Engagement einen großen Anteil an der Persönlichkeitsentwicklung. Hier im Verein finden Jugendliche Vorbilder und Anerkennung. Hier finden sie einen geschützten und begleitenden Ort wo sie einfach mal machen können.
Für Ehrenamtliche ist es ein beständiges Geben und Nehmen: „Was ich einbringe ist toll, was ich mitnehme ist noch toller.“
Um zu wissen was man ist und wer man ist, benötigt man andere.
Sibylla Högele